Bald sechs Jahre ist es her. An einem trüben Samstagmittag im Mai fahren wir nach Rothrist. Wir haben uns für ein besonderes Ereignis angemeldet: Zum Feuerlaufen, organisiert von Georgios.
 
Wir wollten erfahren, inwieweit dass das Marschieren über glühende Kohle ohne Verletzungen tatsächlich möglich ist. Unser Kopf war hin und hergerissen. Das muss ja funktionieren, sonst gäbe es dafür keine Kurse. Und andererseits: So ein Humbuk, wieso sollte das klappen, wenn man sich schon am 200 Grad heissen Ofen verbrennen kann?
 
Rund 30 Personen treffen um zwei Uhr bei einem Bauernhof ein und stehen distanziert um den Kursleiter. Menschen zwischen 18 und 65 Jahren, aus der ganzen Deutschschweiz, wie wir beim späteren Nachtessen feststellen werden.
 
Der Nachmittag beginnt mit lockeren Übungen: Tanzen zu Musik von Abba, in den empfohlenen Wanderschuhen, weil wir auf einem Bauernhof und der angrenzenden Wiese sind, vor unbekannten Menschen! Es gibt Situationen, in denen wir uns wohler fühlen. Danach schildert uns Georgios seinen Lebensweg und wie er zum Feuerlauftrainer geworden ist. An sich glauben, Grenzen überwinden und Glaubenssätze loslassen, so haben wir seine Ausführungen in Erinnerung.
 
Er erklärt uns das Programm, das wir bis zum Feuerlaufen abends um halb Zehn absolvieren werden. Wir beginnen mit verhältnismässig einfachen Übungen, um in kleinen Schritten unsere Ängste zu überwinden: Barfuss über Glasscherben gehen, sich rückwärts von 1.5 Meter Höhe in die Arme der anderen Kursteilnehmenden fallen lassen, zerschlagen von Holzbrettern.
 


In den Pausengesprächen lernen wir die anderen Teilnehmenden und ihre Beweggründe fürs Feuerlaufen kennen. Viele Personen kommen aus Abenteuerlust, aus Neugierde oder um ihrem Verstand zu beweisen, dass er nicht der alleinige Herr über ihren Körper ist. Wir zählen uns zur letztgenannten Gruppe.
 
Vor dem Nachtessen schichten wir zwei Ster Holz aufeinander und zünden das Feuer an. Genau zu diesem Zeitpunkt öffnen sich die Wolken und es giesst für einen kurzen Moment wie aus Kübeln.
 


Nach dem Nachtessen auf dem Bauernhof begeben wir uns zurück zum Feuer, das inzwischen in sich zusammengefallen ist. Eine rund 20 cm hohe Kohleschicht liegt vor uns und entwickelt eine enorme Hitze. Der Kursleiter verteilt mit einem Rechen die Kohle und wir gehen langsam im Kreis drumherum - lautlos und ohne Schuhwerk durchs nasse Gras.
 
Georgios hat uns gesagt, dass wir ohne Gruppendruck über die Kohle gehen können, und zwar dann, wenn er den Glutteppich freigegeben hat und es für uns der passende Zeitpunkt ist. Wir sollen in der Stille bleiben und unsere Glaubenssätze in Bezug aufs Feuerlaufen, soweit möglich hinter uns lassen. Die neu erlernten Affirmationen werden uns beim Gang über die Kohle stärken.
 
Ein leichtes Schaudern geht uns den Rücken runter: Die Anspannung vor einem Moment, den wir bisher noch nie erlebt haben, das Vertrauen in die eigene Stärke und das Bewusstsein, dass wir gleich etwas erleben, das wir bis zum heutigen Tag für kaum möglich gehalten haben.
 
Und dann kommt der Moment, der Glutteppich wird freigegeben. Wir alle marschieren weiterhin im Kreis ums Feuern und rund ein Drittel der Teilnehmenden ist über die Kohle gelaufen, als wir beide zuerst je einzeln und kurz darauf Hand in Hand über die rund 400 Grad heisse Kohle marschieren. Wir sind ausser uns vor Freude, Entspannung und Glück.

 

Am Ende der heissen Fläche steht übrigens ein Zuber kaltes Wasser, für Teilnehmende, die befürchten, ihre Füsse verbrannt zu haben, oder die glauben, ein Kohlestückchen unter den Zehen zu haben. Die wenigsten benutzen diese Kühlungsmöglichkeit.
 
Diese Selbsterfahrung ist für uns der Schlüssel - um alte Glaubenssätze loszulassen und uns auf neue Möglichkeiten einzulassen. Konnten wir willentlich steuern, dass wir uns nicht verbrennen? Wenn es der Körper schafft, beim Berühren von glühender Kohle keine Verbrennungen davon zu tragen, dann muss unser Bewusstsein oder unser Geist zu noch viel mehr fähig sein, als man allgemein glaubt.
 
Gegen Mitternacht machen wir uns auf den Heimweg - einerseits bei klarem Kopf, andererseits doch fast ein bisschen in Trance und ungläubig, was wir an diesem Samstag im Mai 2015 erlebt haben.
 
Wir werden uns bewusst, dass unser Unterbewusstsein zu Leistungen fähig ist, die wir bis zum heutigen Tag nicht für möglich gehalten haben.

[Roland Greber, undbewussst.ch, 27.1.2021]